E-mail
Kontakt
Impressum

www.molekularsoziologie.de



Der molekulare Händedruck - Riechen Sie lieber Rechts oder Links?

In vielen Gesellschaften ist der Händedruck als Begrüßungsritual fest etabliert. Wir verwenden hierfür in der Regel unsere rechte Hand.


Das hat historische und physiologische Gründe, da die Mehrheit der Menschen rechtshändig ist und man früher mit dem Händedruck unter anderem belegen wollte, dass man keine Waffe in der Hand hält. Genauso gut könnten wir uns heutzutage auch die linke Hand reichen (suchen Sie sich einen Partner und probieren Sie es mal), es fühlt sich vielleicht zunächst etwas ungewohnt an, ist aber vom Griff her völlig analog. Bei Pfadfindern ist übrigens der linke Händedruck weiter verbreitet, er weicht im Griff allerdings etwas vom normalen Begrüßungshändedruck ab.


Ganz anders fühlt es sich dagegen an, wenn sich zwei Menschen gegensätzliche Hände reichen, also ein Händedruck zwischen einer linken und einer rechten Hand (das können Sie auch ganz alleine probieren!).


Das liegt daran, dass eine Hand nicht deckungsgleich mit ihrem Spiegelbild ist. Damit berühren sich bei einem gemischten Händedruck andere Bereiche der Hände als bei einem gleichartigen. Dasselbe gibt es auch bei Molekülen. Viele Moleküle, vor allem in der Biochemie, sind nicht mit ihrem Spiegelbild in Deckung zu bringen. Man nennt sie chiral. Die Biochemie hat in der Regel auch nur Verwendung für eines der beiden Spiegelbilder, entweder das rechtshändige oder das linkshändige. Treten zwei rechtshändige oder zwei linkshändige, ansonsten aber identische Moleküle miteinander in Wechselwirkung, so gibt das einen anderen "molekularen Händedruck" als wenn ein rechtshändiges mit einem linkshändigen Molekül wechselwirkt. Man nennt das chirale Selbsterkennung.

Ein sehr einfaches Modell für ein handartiges Molekül ist das nebenstehend abgebildete Glycidol.

Es besteht aus einer Handfläche und einem Daumen, der wie bei einer Hand rechts oder links abstehen kann. Am Beispiel des Glycidols ist es kürzlich gelungen, diesen Unterschied anhand der Molekülschwingungen des Molekülpaars nachzuweisen . Diese unterscheiden sich, je nachdem ob zwei gleichartige oder zwei spiegelbildliche Moleküle zusammengelagert sind. Der "Puls" ist ein anderer. Hinzu kommt, dass es beim Glycidol zwei Arten von Händedruck gibt, die unten bildlich dargestellt sind.


Falls Ihnen die tierischen Analogien näher liegen, wird Sie das Glycidolmolekül vielleicht an ein einäugiges Schneckchen erinnern. Auch dieser Vergleich ist nicht abwegig. Mit seiner Donorgruppe und den zwei Akzeptorgruppen ist Glycidol wie die Schnecke ein Hermaphrodit, und die Windung des Schneckenhauses kann man sich sowohl links herum und rechts herum vorstellen.

Zum Vergrößern bitte anklicken

Übrigens kann auch Ihre Nase rechts von links unterscheiden. Die Geruchsrezeptoren in der Nasenhöhle sind kompliziert aufgebaute Proteine, die natürlich ebenfalls nicht mit ihrem Spiegelbild identisch sind. Kommt nun ein chirales Molekül an, so lagert es sich anders an den Geruchsdetektor an als sein Spiegelbild und es wird ein anderes Signal ans Hirn gesendet. So riecht eine Substanz namens Carvon in der einen Form nach Kümmel, in der spiegelbildlichen nach Pfefferminze. Wenn Sie jemanden "nicht riechen können", muss das auch nicht unbedingt auf einer bewussten Geruchswahrnehmung beruhen. Man vermutet, dass bestimmte flüchtige Moleküle, die wir ausdünsten, ganz unbewusst von unseren Mitmenschen registriert werden und Emotionen auslösen können.

Hier begegnen sich Soziologie und Molekularsoziologie möglicherweise in besonders subtiler Weise. Allerdings ist der Mensch im Vergleich zum Tier in dieser Hinsicht etwas zurückentwickelt, das Riechen ist für uns nicht mehr lebenswichtig. Ein traurigeres Beispiel ist Contergan - ein Schlafmittel, das vor einigen Jahrzehnten auch an Schwangere verschrieben wurde. In der einen Form hatte es die erwünschte Wirkung, aber das Spiegelbild-Molekül hat in tausenden von Fällen schwere Erbschädigungen hervorgerufen. Heute versucht man in der Regel, Medikamente in die rechts- und linkshändige Form aufzutrennen, was aber nicht einfach ist (für einige wichtige Methoden gab es 2001 den Chemienobelpreis) und häufig auch durch die Fähigkeit des menschlichen Körpers, rechtshändige und linkshändige Moleküle ineinander umzuwandeln, wieder zunichte gemacht wird.